Radsportkollegen hatten die schöne Idee, zu einer Gravelbike-Tour auf dem Hanseatenweg des Wandervereins Naturfreunde Deutschland e.V. einzuladen. Der Wanderweg führt über Hamburg nach Stettin. Die Radsportkollegen passten den Track leicht an u.a. indem sie den Startort auf die Elbhalbinsel Entenwerder und den Zielort zum Bahnhof Stettin verlegten und kreierten so den Hansegravel. Am 25. April 2019 fand die Premiere statt. Ich war angemeldet, konnte aber verletzungsbedingt nicht teilnehmen. Für 2020 stehen neben mir über 200 Biker auf der Starterliste. Jedoch fiel die Tour coronabedingt aus.
Jens W. und ich hatten nach der Harzreise noch eine Woche Zeit und Lust, den deutschen Osten zu erkunden. So beschlossen wir, vom 2. bis 8. Oktober den Hansegravel von zu Hause aus zu zweit unter die Räder zu nehmen. Von Stettin aus sollte es durch die Mecklenburger Seenplatte zurück gehen. Wir peilten 150km pro Tag an und buchten die Unterkünfte im Voraus so, dass wir sie möglichst bis zum geplanten Anreisetag 18 Uhr kostenlos stornieren konnten. In Ueckermünde nutzten wir diese Möglichkeit. Eine knappe Stunde vor Ultimo stornierte ich die Buchung der Ferienwohnung in der abgelegenen „Lagunenstadt Ueckermünde“ und buchte ein inzwischen neu angebotenes Zimmer im Hotel Am Markt im Stadtzentrum.
Am Freitagmorgen ging es los. Jens radelte von Stade aus zum Treffpunkt in Neukloster und bekam einen Regenschauer ab. Ich blieb zum Glück trocken. Bis auf den letzten Tag der Tour sollte das auch so bleiben. Die übrige Zeit genossen wir wunderbares Herbstwetter mit viel Sonne und herrlich frischer Luft. Das Laub hatte schon eine schöne Färbung, hielt aber meist noch an den Bäumen, so dass es heikle Stellen auf den vielen Geländeabschnitten nicht verdeckte.
Hatten wir Pannen? Jein. Ungefähr bei Kilometer 70 spritzte plötzlich mit lautem Zischen Dichtmilch aus meinen 35mm Schwalbe G One Allround Reifen, die ich auf 5 bar aufgepumpt hatte. Die Milch klebte an meinen Beinen, dem Rahmen und der Satteltasche („Arschrakete“). Ich radelte weiter. Das Zischen wurde seltener und hörte schließlich ganz auf. Das Loch war dicht und ich war „Schlauchlos glücklich“ 🙂 Luft pumpten weder Jens noch ich während der 7 Tage nach. Ich hatte es wegen des geringeren Luftdrucks hinten nun etwas komfortabler. Alles gut.
Und sonst? Wir sammelten massenhaft Eindrücke, die erstmal sortiert werden wollen. Die meisten Trails befanden sich auf den ersten 150 Kilometern vor Travemünde. In Mecklenburg-Vorpommern kamen wir durch kleine Orte, die anscheinend keine Straße verdient hatten und nur über Sandwege zu erreichen waren. Der Weg führte auch durch das als „Nazidorf“ bekannte Jamel bei Grevesmühlen (km 196).
Gut in Erinnerung blieben allerdings die meist in tollem Zustand befindlichen ruhigen Nebenstraßen und Wirtschafts- und Radwege durch Felder und Wälder mit sehr wenig Verkehr.
Auf dem Radweg an der Küste Usedoms sehe ich noch die Schilder vor mir, die 16% Steigung ankündigten und teilweise bei Abfahrten Radfahrer aufforderten lieber abzusteigen. Solch welliges Gelände mit solchen Prozenten hätte ich nicht auf Usedom erwartet.
Schließlich erreichten wir die deutsch-polnische Grenze und machten uns auf den Weg ins von dort aus ca. 20 Kilometer entfernte Stettin. „Eine lebendige Stadt baut!“ las ich mal im Stau stehend in Hamburg. Wenn das stimmt, dann ist Stettin und die Region bis dahin sehr lebendig! Bis kurz vor die Stadt führten bestens asphaltierte nagelneue breite Radwege. Dann kam die Baustelle und es wurde unschön. Der Track führt meist durchs Grüne ins Stadtzentrum, wo auch Straßen aufgerissen und heftige Bautätigkeiten im Gange waren. Wir fragten uns, was genau wir in Stettin wollten (außer dorthin zu radeln), uns fiel nichts ein und wir drehten um. Der von mir zuhause am Computer gewählte Weg aus der Stadt war übel. Teilweise sehr schlechte Straßen, die noch auf eine Sanierung warteten und recht viel Verkehr. Schon bald rollten wir wieder über den neuen Radweg zur Grenze, den wir von der Einreise kannten.
Der Rückweg gestaltete sich insgesamt wenig spektakulär. Bei der Planung folgte ich meist den Empfehlungen von Komoot für Gravelbikes. Der Asphaltanteil war jetzt deutlich höher. Es war eben kein Wanderweg. Es ging über Neubrandenburg, Waren, dem Haupturlaubsort an der Müritz – dort gönnten wir uns einen Kaffee – und Lübz (!) nach Neustadt-Glewe, wo wir uns ins Schlosshotel eingebucht hatten. Die letzte Übernachtung der Tour. 2 Kilometer vor diesem Ziel begann es leicht zu regnen. Und – meine elektronische Shimano Di2-Schaltung begab sich in den Notbetrieb. Ich hatte den Akku zuletzt vor der Harztour geladen und seitdem auch wegen des Stadtradelns zahlreiche Kilometer zurückgelegt. Notbetrieb heißt: Die Kette liegt auf dem kleinen Blatt und bleibt dort. Der Umwerfer ist so geparkt, dass die mittleren 8 von 10 Ritzeln ohne Schabgeräusche Kette/Umwerfer zu fahren sind. Mit vollständig entladenem Akku ist auch hinten kein Schalten mehr möglich. Das war mir bisher noch nie passiert und ich machte mir Sorgen, ob ich die morgige letzte Etappe mit knapp 170 Kilometern SingleSpeed fahren müsste. Zum Glück passierte das nicht. Wie ich erlebte und später im Di2-Handbuch nachlas, kann man im Notbetrieb mehrere hundert Kilometer zurücklegen.
Dafür fuhren wir am letzten Tag über 100 Kilometer im Regen. Deswegen störte es uns wenig, dass dieser Abschnitt meist auf Radwegen an teilweise stark befahrenen Bundesstraßen in Richtung Heimat führte.
Insgesamt war es wieder eine schöne Tour mit Jens. Zusammen haben wir schon einige Kilometer abgerissen. Mal sehen, was als nächstes kommt.
Allzeit unfall- und pannenfreie Fahrt wünscht
Ralf
Der individuelle Hansegravel war bestimmt ein grandioses Abenteuer für euch. Chapeau!